Das HAR1F-Gen stellt Evolution in Frage

Unerwartete Befunde bieten eine gute Möglichkeit, etablierte Hypothesen zu testen und ggf. nach alternativen Erklärungen zu suchen. Ein Beispiel aus der vergleichenden Genetik sind sogenannte HAR-Gene („Human Accelerated Regions“). 2700 solche Gene sind beim Menschen bekannt. Eines von ihnen, das HAR1F-Gen, unterscheidet sich in 18 Nukleotiden vom Gen der Schimpansen und der anderen Menschenaffen. Eine Untersuchung anhand bekannter Mutationsraten und der Populationsgenetik macht es unplausibel, dass das Gen ein Produkt ungerichteter Evolution ist.

HAR steht für „Human Accelerated Region“. Im menschlichen Genom sind 2700 solcher HAR-Gene bekannt. Die Bezeichnung spiegelt wider, dass sich diese Gene beim Menschen stark von denjenigen anderer Primaten unterscheiden. Daher sollten sie nach der Evolutionstheorie sehr schnell mutiert und selektiert worden, also durch sehr schnelle Evolution entstanden sein (daher „accelerated“). HARs unterscheiden sich in der Tat deutlich von den homologen Genen bei Primaten.

Das HAR1F-Gen codiert nicht für ein Protein, sondern für ein sog. long-non-coding RNA-Molekül mit einer Regulationsfunktion. Die entsprechende RNA reguliert ein genetisches Programm während der embryonalen Entwicklung des Gehirns. Es wird in sogenannten Cajan-Retzius-Zellen, die für die Produktion der dicken Großhirnrinde verantwortlich sind, produziert.

Wie die anderen HAR-Gene ist auch das HAR1F-Gen durch einen sogenannten genetischen Fingerabdruck gekennzeichnet, der nur beim Menschen vorkommt. Das HAR1F-Gen besteht aus 118 Nukleotiden (DNABausteinen), von denen 18 für den Menschen einzigartig sind. Die Sequenz des HAR1FGens ist bei Schimpanse, Gorilla und Orang-Utan identisch. Nur beim Menschen werden die 18 einzigartigen Nukleotide gefunden. Diese 18 Unterschiede sind über das gesamte Gen verteilt und können nicht auf ein einziges Mutationsereignis zurückgeführt werden. Basierend auf der Sequenz des HAR1F-Gens können wir aufgrund der großen Unterschiede mit Sicherheit Menschen von Schimpansen, Gorillas und anderen Affen unterscheiden. Wenn wir ein solches Gen in einem fossilen Knochen (z.B. eines Neandertalers) finden, dann können wir sicher sein, dass wir es mit einem Menschen zu tun haben. 

Das HAR1F-Gen ist also ein Indikatorgen, d.h. ein Gen, das anzeigt, dass wir es mit einem Menschen zu tun haben. Die einzigartige DNA-Sequenz des menschlichen HAR1F-Gens führt zur Faltung des entsprechenden RNA-Moleküls, so dass eine neue, winzig kleine Schleife entsteht, die die Funktion des HAR1F-Moleküls bestimmt. Diese Schleife ist eine Art Schalter für das Entwicklungsprogramm der Großhirnrinde beim Fötus.

Dazu bedarf es einer Anhäufung von Mutationen an ganz bestimmten Stellen im Genom des hypothetischen Vorfahren. Da der mutmaßliche Vorfahr des Menschen und der Schimpansen vor 6–7 Millionen Jahren gelebt haben soll, haben wir maximal 7 Millionen Jahre Zeit, um das menschliche HAR1F-Gen zu erhalten. Neodarwinisten gehen davon aus, dass die effektive Population von Homininen (Menschen und seine unmittelbaren mutmaßlichen Affen-Vorfahren) während dieser 7 Millionen Jahre etwa 10.000 betrug (Wall 2003). Und die Mutationsrate ist experimentell ermittelt worden. Sie beträgt 100 Punkt-Mutationen pro Generation pro Genom (das sind beim Menschen etwa 3 Milliarden DNA-Buchstaben). Mit anderen Worten: Jeder Nachkomme erhält 100 Mutationen von seinen Eltern. Auch Affenjunge und ihre Vorfahren.

Nach dem Neodarwinismus ist das HAR1F-Gen Schritt für Schritt, d.h. Buchstabe um Buchstabe, durch zufällige, selektierbare Mutationen entstanden. Durett et al. (2008) haben berechnet, dass für das Auftreten einer einzigen Mutation an einer bestimmten Position in einem Gen zur Bildung einer neuen funktionellen Stelle Millionen von Jahren erforderlich wären. Trifft das auch für das HAR1F-Gen zu? Wir brauchen also 18 Mutationen, um eine affenähnliche HAR1F-Sequenz in ein menschliches HAR1F-Gen zu verändern.

Mit diesen Daten können wir auf ziemlich einfache Weise berechnen, ob das menschliche HAR1F-Gen auf darwinistische Weise – durch Mutation, Selektion und Gendrift – entstehen konnte oder nicht. Wie groß ist die Chance, dass wir eine Mutation an der richtigen Stelle im HAR1F-Gen bekommen?

Pro Individuum besteht die Chance von 1 zu 30 Millionen, dass eine der oben erwähnten 100 Mutationen pro Generation an die richtige Stelle fällt (100/3 Milliarden = 1/30 Millionen). Die Chance, dass dies einmal bei einer Population von 10.000 Menschen (oder ihren mutmaßlichen Vorfahren) geschieht, liegt demnach bei 1/3000. Mit anderen Worten, alle 3000 Generationen wird es durchschnittlich einmal passieren. Wenn wir durchschnittlich 10 Jahre für eine Generation rechnen, dann dauert es 30.000 Jahre, um einmal einen Treffer zu haben. Aber ist es der richtige Treffer? Es muss auch der richtige DNA-Buchstabe sein (die DNA hat vier verschiedene Nukleotide).[1] In zwei von drei Fällen ist es der falsche Buchstabe. Bevor wir also den ersten richtigen Treffer landen, sind 30.000–90.000 Jahre vergangen!

Ein Kommentar in der Wissenschaftszeitschrift Nature bestätigt, dass das HAR1F-Gen durch Mutation/Selektion schwer zu erklären ist: „Es wird angenommen, dass die Rekombination und der damit verbundene Prozess, die verzerrte Genkonversion („biased gene conversion“), die Aufnahme von G- und C‑Nukleotiden gegenüber den beiden anderen möglichen Nukleotiden, A und T, begünstigt […]. Da alle bei HAR1F beobachteten Nukleotidsubstitutionen von diesem Typ sind, könnten hohe (und verzerrte) Mutationsraten einen Teil der raschen Evolution von HAR1F erklären. Dennoch kann dieser Prozess nicht die anderen Beobachtungen der Autoren erklären, wie z.B. die Substitutionspaare, die zusammen die Struktur der HAR1F-RNA weiter stabilisieren“ (Ponting & Lunter 2006).

Erst jetzt beginnt es wirklich spannend zu werden. Denn wir haben zwar den ersten Treffer gelandet, aber was wird mit dieser Mutation geschehen? Wenn es sich um eine neutrale Mutation handelt, wird sie normalerweise aufgrund der zufälligen genetischen Drift verloren gehen. Nach Ansicht der Populationsgenetiker hat jede neutrale Mutation nur die minimale Chance von 1/2N (mit N = Populationsgröße), dass diese Mutation nicht wieder verloren geht! Nachdem eine Mutation endlich an der richtigen Stelle aufgetreten ist, ist die Chance, dass sie tatsächlich in der Population erhalten bleibt, also minimal (1/20.000 bei einer Populationsgröße von 10.000 Individuen). Hier braucht man daher die natürliche Auslese. Wir müssen also davon ausgehen, dass die Punktmutation (Austauschs eines Nukleotids) im HAR1F-Gen des Vorfahren (das bei den oben erwähnten Affen monomorph ist, also bei allen Individuen identisch und nicht mutiert) einen selektiven Wert hat. Das ist durchaus möglich. Geben wir dieser Mutation einen Selektionsvorteil von 0,5% gegenüber dem Gen des Vorfahren, ist das „leicht vorteilhaft“, aber dennoch sehr großzügig für eine Punktmutation in einem stabilen Gen (eher erwartet man einen Nachteil). Die Mutation hat nach populationsgenetischen Berechnungen nun eine Chance von 1%, sich in der Bevölkerung zu etablieren. Ein Treffer muss also durchschnittlich 100 Mal erfolgen, um sich dauerhaft einmal in der Population anzusiedeln. Der erste richtige Treffer tritt erst nach 30.000–90.000 Jahren ein, aber in der Population muss dies durchschnittlich 100 Mal geschehen! 30.000–90.000 x 100 ergibt 3–9 Millionen! Es dauert daher 3– 9 Millionen Jahre, um eine Mutation mit 0,5% Selektionsvorteil durch Selektion dauerhaft im HAR1F-Gen zu erhalten! Es werden aber noch weitere 17 Mutationen im HAR1F-Gen benötigt.

Zufällige Mutationen, Selektion und Gendrift können das menschliche HAR1F-Gen nicht erklären. Und es gibt 2700 weitere HAR im menschlichen Genom, wo es ähnlich große Unterschiede zum Schimpansengenom gibt wie beim HAR1F-Gen! Was hat das also mit unserer eigenen Existenz zu tun? Die Antwort ist, dass es eine wichtige Einschränkung dessen darstellt, was wir aus den Ähnlichkeiten von Menschen und Menschenaffen ableiten können: Ähnlichkeiten sind als Belege für gemeinsame Abstammung fragwürdig, wenn zugleich markante Unterschiede vorliegen (vgl. Terborg 2019). Insbesondere zeigt dieses Beispiel, dass wir aus der Sequenz in Primaten nicht ableiten können, dass die darwinistische Evolution die Sequenz in Menschen hervorgebracht hat, nur weil sie ähnlich sind. Eine schrittweise Evolution ist sicherlich nicht die richtige Erklärung unserer Existenz!

Quellen

Durett R. & Schmidt D. (2008): Waiting for two mutations: with applications to regulatory sequence evolution and the limits of Darwinian evolution. Genetics 180, 1501–1509.

Ponting C. P. & Lunter G. (2006): Evolutionary biology: human brain gene wins genome race. Nature 443, 149–150.

Terborg P. (2019): Das Erbgut von Mensch und Schimpanse. Wie groß ist die genetische Verwandtschaft wirklich? Stud. Integr. J. 26, 4–10.

Wall J. D. (2003): Estimating ancestral population sizes and divergence times. Genetics 163, 395–404.

Anmerkung

[1] Man könnte argumentieren, dass es nicht genau die heutige Sequenz sein muss. Dennoch müsste man eine ähnliche Schleife erklären, die ebenfalls durch paarweise positionierte Nukleotide stabilisiert werden muss.


Autor dieser News: Peter Borger, 05.06.2020

Ursprünglich veröffentlicht auf genesis​.info. Link: https://​www​.genesisnet​.info/​i​n​d​e​x​.​p​h​p​?​N​e​w​s​=​280

Veröffentlichung auf frohebotschaft​.info mit freundlicher Erlaubnis des Autors

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